Wilfried Geldner, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 28.02.1986
Der schönste Film des Forums war Ulrike Ottingers Reisebeschreibung CHINA. DIE KÜNSTE - DER ALLTAG. Ein Film, der die Menschen voller Liebe beobachtet, bei der Arbeit und in der Freizeit, der atmet wie die Musik, die den wandernden Bildern unterlegt ist, der sich Zeit nimmt und dabei auf jeden Kommentar verzichtet […] Nie wird jemand denunziert, nie ist der Blick voyeuristisch. Und immer wieder werden die Menschen zu Darstellern ihrer selbst: die Apotheker in der „Apotheke zur allgemeinen Nächstenliebe“, die Soldaten, die sich zum Gruppenfoto arrangieren, die Judo-Kämpfer auf dem Markt, die alten Herren beim säuberlich durchchoreographierten Morgenballett am Fluß. Es gab eine Dokumentaristin großen Formats zu entdecken.
Gertrud Koch, Frankfurter Rundschau, 27.02.1986
Es ist, als reise man selbst durch die Dörfer und Städte, besuche die Märkte oder besichtige die Tempel, flaniere durch die Straßen oder raste am Wegrand und beobachte die Menschen, die vorüberziehen. Diesen Film zumindest ansatzweise zu erfassen, setzt voraus: den eigenen Augen voll und ganz zu trauen […] Ulrike Ottinger beweist immer wieder ihren tiefen Respekt vor Details. Nicht die ästhetische Stilisierung von Dingen und Geschichten […] interessiert sie, sondern die realen Stilisierungen des Alltags […] Ulrike Ottinger nutzt hier die ästhetische Kraft des Kinos: Das Sichtbare so zu präsentieren, wie es ist. Ihr Ziel ist: Ein großer Teil des Films konzentriert sich auf die sichtbaren Kulturtechniken, auf ihre Alltagsästhetik. Zur Alltagsästhetik gehören auch der Ball, Volksfeste und ihre Attraktionen, Theater, Oper und Musik. Was Ulrike Ottingers Film spannend macht, ist auch der Witz, mit dem sie winzige narrative Ereignisse beobachtet und festhält mit einem sehr genauen Sinn für Situationskomik.
Ottinger zieht den Witz aus Details, die aus dem Inneren der Bilder aufblitzen wie das Loch in der Hose eines kleinen Jungen, der wie zum Abschied übermütig sein Beinchen abwinkelt, so daß, während er in der Menge verschwindet, das Loch in der Hose kurz aufscheint. Solche Momente bleiben freilich nicht äußerlich, sondern binden sich in die Oberflächenästhetik einer Kultur ein, die das Groteske und den Zirkus zu einer Kunstform entwickelt hat.
Wilhelm Roth, epd Film 1/1986
Ulrike Ottinger hat selbst die Kamera geführt, die Bilder sind von großer Prägnanz und Klarheit, es gibt in den viereinhalb Stunden keinen einzigen Zoom. An dem China-Film kann man sehen, daß auch Dokumentarfilm Bildkunst sein kann.
Norbert Grob, DIE ZEIT, 30.05.1986
Transparenz. Der sinnliche Schauer, der vom Leben matt schimmernder Oberflächen ausstrahlt. Nichts leuchtet, aber alles ist hell und faszinierend.