Freak Orlando

Deutschland 1981, 35mm, Farbe, 126min

Eine Irrtümer, Inkompetenz, Machthunger, Angst, Wahnsinn, Grausamkeit und Alltag umfassende ‚Histoire du monde‘ am Beispiel der Freaks von den Anfängen bis heute als Kleines Welttheater in fünf Episoden erzählt von Ulrike Ottinger.

1. Episode erzählt, wie Orlanda Zyklopa als Attraktion mit ihren sieben Zwergenschustern in der Schnellsohlerei des Kaufhauses von Freak City den Amboß schlägt, von Herbert Zeus, dem Geschäftsführer, der aus dem Hause gejagt wird, als Königin der sieben Zwergathleten das trojanische Pferd besteigt, ablehnt, die Nachfolgerin des Säulenheiligen zu werden, und deshalb zu Tode kommt.

2. Episode erzählt, wie Orlando Orlanda alias Orlanda Zyklopa auf den Stufen der Basilika als Wundergeburt das Licht der mittelalterlichen Welt erblickt und mit dem lieblichen zweistimmigen Gesang ihres Doppelkopfes die Umwelt zu verzaubern vermag, jedoch nicht verhindern kann, daß Flagellanten zwei Akrobaten gefangen nehmen und sie inmitten ihres Flagellantenzuges aus der Stadt führen, weshalb sie gemeinsam mit der berühmten Zwergenmalerin Galli den Flagellanten folgt und so zum Kloster der heiligen Bartfrau Wilgeforte gelangt, dort in dem großen Kauf- und Lagerhaus neu eingekleidet und von Galli portraitiert eine erstaunliche Verwandlung erfährt.

3. Episode erzählt, wie Orlando Capricho alias Orlando Orlanda alias Orlanda Zyklopa erkennen muß, auf das mit schöner Stimme vorgetragene Sonderreiseangebot des Warenhauses hereingefallen zu sein, in ihrem eigenen Spiegelbild das Mißtrauen erlernt, im Spanien des ausgehenden 18. Jahrhunderts den Häschern der Inquisition in die Hände fällt, allerlei Gefahren und Abenteuer zu bestehen hat, mit knapper Not der Einweisung in ein Korrektionshaus entgeht und am Ende zusammen mit allerlei fahrend Volk und rechter Arbeit Feind in die neue Welt deportiert wird, was Galli el Primo getreu den Begebenheiten dokumentiert.

4. Episode erzählt, wie Herr Orlando alias Orlando Capricho alias Orlando Orlanda alias Orlanda Zyklopa vor den Toren des psychiatrischen Landeskrankenhauses von den Artisten einer im Lande umhervagabundierenden Side-Show als Mitglied aufgenommen wird, sich alsbald in einen Teil der Siamesischen Zwillinge, genannt Lena, verliebt, was der andere Teil, genannt Leni, nicht hinnehmen will, darob Herr Orlando in solche Konfusionen und Verstrickungen gerät, daß er Leni ersticht, was notwendigerweise auch seine geliebte Lena tötet und den Herrn Prinzipal der Truppe zwingt, Herrn Orlando einem alten Artistenbrauche gemäß dem Tode zu überantworten.

5. Episode erzählt, wie Frau Orlando wegen ihrer Vorlieben genannt Freak Orlando, alias Herr Orlando alias Orlando Capricho alias Orlando Orlanda alias Orlanda Zyklopa sich als Entertainerin verdingt und zusammen mit vier Bunnies durch Europa tingelt, als Attraktion bei Eröffnungen von Einkaufszentren, Familienfeiern und ähnlichem sehr begehrt ist, schließlich auch ein Engagement in Italien auf einem alljährlich stattfindenden Fest der Häßlichen annimmt, dort den Gewinner krönt und einen Ehrenpokal mit der Aufschrift: "Bei den Lahmen ist das Hinken Sitte" überreicht und uns am Ende des Festes erzählt, daß die Geschichte aus ist.

Ulrike Ottinger Filmproduktion, Berlin in Koproduktion mit Pia Frankenberg GmbH ZDF, Mainz
Fotos zum Film
Besetzung/Stab
Orlando als Pilger
Orlanda Zyklopa
Orlando Capricho
Orlando Orlanda
Herr Orlando
Entertainerin
Frau Orlando
Magdalena Montezuma
Helena Müller als Lebensbaumgöttin
Kaufhausansagerin
Mutter der Wundergeburt
Helena-Maya
Siamesischer Zwilling Lena
Bunny Helena
Delphine Seyrig
Herbert Zeus als Kaufhaus-Direktor
Priester
Gladiator
Chefarzt der Psychiatrie
Vertreter für Psychopharmaka
Albert Heins
Zwei Tänzer als Kaufhausdetektive
Akrobaten
Mönche
Zerberusse
Vogelmenschen
Krankenschwestern
Claude Pantoja und Hiro Uchiyama
Chronistin Galli
Säulenheiliger Eddie Constantine
Heilige Wilgeforte Else Nabu
Frau ohne Unterleib
Der linke Kopf
Therese Zemp
Reporterin Franca Magnani
Siamesischer Zwilling Leni
Bunny Jackie
Jackie Raynal
Kleine Menschen Maria Buchelt
Paul Glauer
Alfred and Luzia Raupach
Monika Ullemayer
Dirk Zalm
Zwölf Lederboys Luc Alexander, Jochen Benner, Klaus Dechert, Paolo Espinoza, Gerhard Hoffmann,
Dan Van Husen, Reinhard v.d. Marwitz, Jörg Matthey, Stefan Menche, Konrad Regber,
Peter Schmittinger, Emile Snystheuvel
Vier Frauen Barbara Beutler
Erika Rabau
Ula Stöckl
Ellen Umlauf
Zwei Bunnies Jill und Vivian Lucas
Frau Prinzipalin Beate Kopp
Herr Prinzipal Günther Notthoff
Bartfrau mit Akkordeon Waltraud Klotz
Büßerin Dorothea Moritz
Frau Gorgo Eva Ebner
Riesin Renate Pump
Haarwunder Emma Henze
und Alf Bold, Peter Gente, Wieland Speck, Angela Reinhard, Wilhelm Siebert, Walter Busch, Sarah Blum, Klaus Knittel, Petra Kray
   
Buch
Regie
Ausstattung
Kamera
Ulrike Ottinger
Regieassistenz Eva Ebner, Bettina Woernle
Kameraassistenz Martin Gressmann
Musik Wilhelm D. Siebert
Ton Margit Eschenbach
Schnitt Dört Völz
Kostüm Jorge Jara
Kostümherstellung Ole Kofood, Barbara Czub
Maske Ursula Drews, Karin Seebach-Lück
Requisite Barbara Utecht, Ursula Knispel
Bühnenmaler Thomas Lange
   
Herstellungsleitung Renée Gundelach
Produktionsleitung Harald Muchametow

Mit finanzieller Unterstützung der Filmförderungsanstalt, Berlin und des Bundesministerium des Inneren, Bonn.

Pressestimmen

Frieda Grafe, Süddeutsche Zeitung, 7/8.11.1981
Der Oberfreak, der Titelfreak ist dem Orlando aus Virginia Woolfs Roman nachempfunden, der den alten Traum vom androgynen Menschen realisiert; und wie Orlando im Roman ist er der Zeit, der Vergänglichkeit nicht unterworfen, das allein schon macht ihn zu einem Monster an Erfahrung [...]. Das Kaufhaus ist in FREAK ORLANDO der Tempel der Versprechungen, der Sammelplatz der Gläubigen, wo nach bestimmten Liturgien öffentliches Leben sich regelt. Da werden nicht nur die Normen zementiert, sondern auch das Verhältnis zur Vergangenheit ausgebeutet. Erst das Allerneueste, verkuppelt mit dem guten Alten, ergibt das richtige Sonderangebot [...]. Das Kino verwirklicht die Collagenträume des Surrealismus – ohne Kino wären die Surrealisten nie auf ihre revolutionären Metamorphosen gekommen.
Für Ulrike Ottingers Kinokonzeption ist entscheidend, daß Film alle Vorstellungen, alle Wünsche, Ängste, Träume mit der Aura des Realen ausstatten kann. Man kann mit dem Kino beweisen, um es bildlich auszudrücken, daß der Mythos eine Dame ohne Unterleib ist.

Gertrud Koch, Frankfurter Rundschau, 14.11.1981
Die Dimension der emotionalen Aufladung der Bilder, die über das Verwundern hinausgeht, kommt dem Film vor allem über das Spiel Delphine Seyrigs zu, die neben Magdalena Montezuma als Orlanda/Orlando die wechselnden Episodenrollen durchläuft von der Lebensbaumgöttin, Mutter der doppelköpfigen Wundergeburt, siamesischer Zwillingshälfte, Kaufhausansagerin bis zum Bunny beim ‚Wettbewerb der Häßlichen‘. Während Magdalena Montezuma die Eiseskälte der Kunstfigur virtuos verbreitet, spielt Delphine Seyrig ihre Parts durchaus mit psychischem Profil, vermenschlicht mit fIatterndem Lächeln, zarten Blicken, sanftem Timbre das Künstliche zur weicheren Kontur der Person.

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