Zwölf Stühle

Deutschland 2004, 35mm, Farbe, 198min | Fernsehfassung: 7 Teile à ca. 30 Minuten

Auf dem Sterbebett vertraut eine alte russische Aristokratin ihrem Schwiegersohn ein streng gehütetes Geheimnis an. In einem der zwölf Stühle ihrer alten, nach der Revolution enteigneten Salongarnitur hatte sie ihren wertvollen Juwelenschmuck versteckt. Ihr Schwiegersohn, der ehemalige Adelsmarschall und Lebemann Ippolit Matwejewitsch Worobjaninow, der als Standesbeamter in einem Provinznest sein Leben fristet, begibt sich unverzüglich auf die Suche nach dem Schatz. Die zwölf Stühle sind inzwischen im ganzen Land verstreut. Schon auf der ersten Station heftet sich Ostap Bender an seine Fersen, ein gewitzter, buntscheckiger Gauner, der die Jagd nach den Brillanten energisch an sich reißt.

Eine tolle Reise beginnt von Nord nach Süd und von West nach Ost, zu Wasser und zu Lande, vom Dorf in die Metropole. Das ungleiche Gespann hat einen Rivalen in Vater Fjodor. Er hatte der einst wohlhabenden Aristokratin die letzte Beichte abgenommen und kennt so als Dritter im Bund ihr Geheimnis.

Der Film basiert auf dem gleichnamigen Roman von Ilja Ilf und Jewgeni Petrow und verknüpft in spektakulärer Weise die Dramaturgie einer Schatzsuche und Verfolgungsjagd mit einer dichten Bilderwelt von Personen und Orten. Er erzählt zugleich von gestern und heute, von der Realität der Menschen in den GUS-Staaten und vom Allgemeinmenschlichen unseres eigenen Handelns. Große gesellschaftliche Utopie vermischt sich so mit der individuellen Hoffnung auf das ganz persönliche Glück, sei es durchs Geld oder in der Liebe. ZWÖLF STÜHLE gelingt es, eine witzige, tragische und humane Welt zu zeigen: Sie ist immer zugleich großer Entwurf und zusammengeflickte Existenz.

Fotos zum Film
Besetzung/Stab
Georgi Delijew Ostap Bender, Gauner
Genadi Skarga Ippolit Matwejewitsch Worobjaninow, Adelsmarschall
Swetlana Djagiljewa Klawdia Iwanowna Petuchowa, Schwiegermutter
Boris Raev Vater Fjodor
Olga Rawitzkaja Witwe Grizazujewa
   
Irina Tokartschuk Elena Stanislavovna Bour, Wahrsagerin
Tatjana Chrustaljowa Friseuse, Assistentin des Auktionators, Redakteurin
Oxana Burlai Lisa, Studentin
Irina Kowalskaja Agafja Tichonowna, Seiltänzerin
Natalja Busko Busko Ellotschka, "12-Worte-Frau"
Alla Brodskaja Katerina Alexandrowna, Popenfrau
   
Anatoli Paduka Warfolomej Korobejnikow, Archivarius
Georgi Derewjanski Tichon, Hausmeister
Alexander Kusmenkow Kellner, Einäugiger Schachspieler
Juri Lopariow Sargtischler Besentschuk
Michail Malizki Persizki, Journalist
Wassili Ostafejtschuk Regisseur Simbijewitsch-Sindijewitsch
Anatoli Pirogow Theaterelektriker Metschnikow
Pawel Kolomijtschuk Avesalom Isnurenkow, Satireschreiber
Leonid Anisimow Alexchen, Chormarschall und
Leiter des Armenhauses
Wsewolod Kabanow Auktionator
Sergej Jurkin Ingenieur Ernest Schtschukin, Gatte von Ellotschka
Waleri Bassell Wächter des Eisenbahnerclubs
   
Wladimir Piniza Ingenieur Bruhns
Natalia Lukjantschenko Mussa, seine Frau
Dmitri Kukurudsjak Redakteur
Andrej Miroschnitchenko Fotograf
Artur Litwinow Ljapis, Dichter
Alexander Koslow Pascha Emiljevitsch,
ältester Bruder der vier Paschas
Sergej Rodionow
Ruslan Wornik
Dmitri Iwanow
Drei Nymphen,
Besitzer der Bestattungsfirma „Zu den drei Nymphen“
Bewohner von Wilkowo, Marinowka, Nowij Swet, Schebetowka
Mitglieder des Schachclubs Odessa
Chor der Veteraninnen Odessa
Matrosen von Odessa
Feuerwehrmänner von Feodosija
Major Nikolai Ischchenko mit seiner Milizeinheit Sudak
u.v.a.
   
Akkordeon und Gesang Alexandra Swenskaja, Larissa Schewtschenko
Piano Alexandra Efrusi
Balalaika

Wladislaw Nikulin, Ruslan Gorodezki,
Alexander Luuk
Blasorchester von Nikolajew unter der Leitung von Wladimir Kolesnik
Blasorchester der Musikakademie Odessa
Avantgardistisches Orchester Ewgeni Wall, Maxim Glasijr, Wadim Nasarenko, Konstantin Kirilenko
   
Erzähler Peter Fitz
Drehbuch Ulrike Ottinger
nach dem gleichnamigen Roman von
Ilja Ilf und Jewgeni Petrow
Regie und Kamera Ulrike Ottinger
Kostüm Gisela Pestalozza
Licht und Kameraassistenz Clemens Seiz
Till Caspar Juon
Ton Efim Turezki, Alexander Schschepotin,
Georgi Sawoloka, Walentin Pentschuk
Maske Jana Skopilidis, Tatjana Fallmann
Bühnenmaler / Requisite Alexander Batenjew,
Nadeshda Mantschitsch
Casting Galina Patschewa - Casting-Agentur "Uspech"
Tatjana Angeltschuk
Koordination / Übersetzung Boris Raev, Andreas Strohfeldt
   
Montage Ulrike Ottinger
Schnitt Bettina Blickwede
Tonschnitt Markus Böhm (BVFT)
Geräuschemacher Carsten Richter (BVFT)
Mischung Robert Jäger, Geyer-Werke
Kopierwerk Schwarzfilm Postproduction
Negativschnitt Veronika Auer
Lichtbestimmung Charly Huser
Titel Moser & Rosié
Untertitel CINETYP AG
   
Produktionsberatung Olga Konskaja
Produktionsvorbereitung Sean Runge
Koordination / Produktionsassistenz Ulla Niehaus
Produktionsleitung Irina Kobsar
Aufnahmeleitung Elena Bodnarjuk
Mit Dank an Ukrainische Botschaft in Berlin
Deutsche Botschaft in Kiew
Kulturministerium der Ukraine
Barbara Kaulbach, Nina Gontscharenko, Goethe-Institut Kiew
Bernd Ebermann, GTZ
Nikolai Mischschenko, Hafenmeister Nikolajew
Kapitän Juri Sornij Nikolajew
Sergej Iwanow, Hafenmeister Feodosija
Anatoli Rodan, Leiter des Kulturhauses Marinowka
Christine Noll Brinckmann, Eva Ebner, Katharina Sykora
Gefördert mit Mitteln der Kulturstiftung des Bundes
Pressestimmen

Hans-Jörg Rother, Der Tagesspiegel, Berlin, 8. Februar 2004
Ottingers Film verschränkt die Zwanzigerjahre des Romans mit der neurussischen Gegenwart, in der sich nur die Gerissenen nach oben arbeiten. Gut drei Stunden schickt sie ihre Helden zudem durch Bilder von Städten und Landschaften, deren Schönheit und Farbenpracht einem den Atem verschlägt. Ilf und Petrow hätten es sich nicht träumen lassen, dass ihr satirisches Pathos einmal der Erinnerung des Vergangenen statt der Beschwörung der Zukunft dienen würde. Am Ende, wenn sich Worobjaninow seines Kompagnons entledigt, steht uns die Gegenwart bar jeder Romantik vor Augen. Der Reichtum ist aufgebraucht.

Andrej Plachow, Kommersant Nr. 69, Moskau 16. April 2004
Sie hat keine deutschen, sondern Odessiter Schauspieler engagiert und mit ihnen einen Film gedreht, von dem viele Generationen sowjetischer und postsowjetischer Filmregisseure vergebens geträumt haben. Denn sie haben sich dem Roman nur auf Zehenspitzen zu nähern gewagt und mit dieser Haltung die Zuschauer auf Jahrzehnte vom Geschmack einer solchen Prosa abgebracht;[…] Ulrike Ottinger war unbelastet von solchen Ängsten, und ihre Schauspieler (die sowohl aus dem Muratowa-Umkreis wie aus der „Maski“-Show kommen), allen voran Georgi Delijew und Genadi Skarga, sind hier goldrichtig.
Aber das größte Verdienst der Regisseurin besteht darin, dass sie den Schlüssel gefunden hat, um den Roman in die universelle Filmsprache zu übersetzen. [...] der spezifische Odessiter Humor von Ilf/Petrow galt immer als unübersetzbar, und somit schienen auch die Figuren des Romans, insbesondere Ostap Bender, unter Ausreiseverbot zu stehen. Nun haben sie ein Schengener Visum erhalten.

Claudia Schwartz, Neue Zürcher Zeitung, Zürich, 13. Februar 2004
Die deutsche Regisseurin schlägt aus der Geschichte zweier Lebemänner in der frühen Sowjetzeit jenes Fünkchen Wahrheit, nach dem sich die Mentalität einer Gesellschaft über die Perestroika hinaus buchstäblich in die neue Zeit rettete.
Die Geschichte über einen proletarisierten Adeligen und einen Ganoven, die in einer burlesken Schatzsuche dem Ideal vom Helden der Arbeit ihre individuelle Überlebensstrategie aus List und Improvisationsgeist entgegenstellen, ist eine stilsichere Parabel auf die postsowjetische Gesellschaft. Ottinger giesst Vergangenheit und Gegenwart, literarische und filmische Motive, russische Darsteller und deutsch gelesene Romanauszüge, malerische Schwarzmeerküste und farbenprächtigen Hyperrealismus mit einer Gelassenheit in Form, als würde sich all dies wirklich vor unseren Augen abspielen.

Leslie Felperin, Variety, Los Angeles/New York, February 16-22, 2004
Ottinger films the terrain with great affection, bringing out its tawdry beauty and sharp Mediterranean (or Black Sea if you prefer) light. An acclaimed still photographer, she does own lensing here, favoring arty, pleasingly off-center framing and long-held, tableau-like set ups that create a curious sense of stasis in a film about people always on the move. Music is almost all source throughout.

Arthouse Movienews Nr. 83 - 7 / 8 / 2004
Ulrike Ottinger hat den Osten schon immer geliebt. Sie hat in der Taiga, in Schanghai, in Osteuropa Filme gedreht: Theatralische Spielfilme und feinfühlige Dokumentarfilme, die seit Jahren Kult sind. […] Im Jahre 1927 spielt Ilja Ilfs und Jewgeni Petrows Roman, Ottinger jedoch hat „Zwölf Stühle“ in den „natürlichen Kulissen“ der Ukraine von heute gedreht. Resultat ist ein bilderprächtiger „Reisefilm“. Der gewährt den Zuschauern, wie Ottinger es formuliert, tiefen Einblick in die „dichten Schichtungen der Geschichte“ und es fällt in ihm kongenial zusammen, was Ottingers Schaffen kennzeichnet: Ethnografische Sorgfalt und humorvolle Verspieltheit.

Zum Weiterlesen

Ulrike Ottinger

Zur Entstehung

2001 reiste ich für meinen Film Südostpassage auf der Suche nach jenen blinden Flecken Europas, die heute dem medialen Vergessen preisgegeben sind, von Berlin über Polen, Tschechien, die Slowakei, Ungarn, Rumänien, Bulgarien, in die Ukraine nach Odessa und am Schwarzen Meer entlang nach Istanbul. Parallel dazu begab ich mich auf eine literarische Reise und lernte die Romane, Erzählungen und Gedichte dieser Länder kennen. Dabei begegnete ich den Zwölf Stühlen, dem listigen Roman des Odessiter Autorenpaares Ilja Ilf und Jewgeni Petrow. Seit seinem Erscheinen Ende der Zwanziger Jahre ist er eine der vergnüglichsten Beschreibungen der turbulenten Zustände Sowjetrusslands während seiner Aufbauzeit. Heute hält der Roman den im Umbruch befindlichen GUS-Staaten einen präzisen allegorischen Spiegel vor.

Auf zwei weiteren Recherchereisen suchte und fand ich in der Ukraine die Orte und Schauspieler, die im Film zu zentralen Akteuren der Handlung werden: Wilkowo, ein Dorf an der moldawisch-rumänischen Grenze, durchzogen von Kanälen wie ein Kleinvenedig. Nikolajew, ehemals mächtiger Handelsknotenpunkt an der Gabelung zweier Zuströme zum Dnjepr; die Tatarendörfer im gewaltigen Krimgebirge und die eleganten Kurorte zu seinen Füßen, wo die Schwarzmeerküste schon seit dem 19. Jahrhundert Côte d‘Azur spielt. Und nicht zuletzt Odessa mit seiner Mischung aus zerfallenen Hinterhöfen, prächtigen Passagen und der Treppe zum Hafen, die auf Schritt und Tritt Bilder von Eisensteins Revolutionsfilm Panzerkreuzer Potemkin hervorruft. Diese Orte sind nicht nur Bühne, sondern Mitspieler im Film. Sie und die Menschen, die sie im Alltag bevölkern, agieren als Komplizen oder Gegner der beiden Protagonisten Ostap und Ippolit auf der Jagd nach ihrem materiellen Glück.

Die beiden Hauptdarsteller sind wie die Autoren des Romans Odessiter. Georgi Delijew, der Darsteller des Gauners Ostap Bender, ist ein Volksschauspieler im modernen Sinn, der in einem eigenen Theater die Tradition des Burlesken pflegt und durch eine auf ihn zugeschnittene komödiantische Fernsehserie, die „Maskenschau“, weit über die Ukraine hinaus bekannt ist. Genadi Skarga, der die tragikomische Figur des ehemaligen Adelsmarschalls verkörpert, stammt aus einer Odessiter Theaterdynastie und beherrscht nicht nur das klassische Repertoire der russischen Bühnenliteratur, sondern experimentiert als Regisseur und Schauspieler auch mit den Formen des modernen amerikanischen Dramas. Die rasante Geschichte ist so eingeflochten in einen dichten Teppich von Personen und Orten, die zugleich von gestern und heute erzählen.

 

Christine N. Brinckmann, Auszug aus dem Katalog des 34. Internationalen Forums des Jungen Films

Ulrike Ottingers pikareskes Universum

Schon in früheren Filmen hat Ulrike Ottinger einen pikaresken Stil entwickelt: Verzicht auf psychologisch gezeichnete Charaktere, eine episodische Struktur ohne übergreifende Spannungskurve, dafür üppiges Detail, das den Figurenreigen temporär in eine Komposition bindet, bis sich ein neues Ambiente, neue Farbtöne, neue Umstände auftun. Auch gibt es schon früh satirische Elemente sowie die Lust am Heterogenen, Grotesken, Barocken.

Grundsätzlich ist die Pikareske eine Gattung des Barock. Sie entstand im Spanien des 16. Jahrhunderts, nicht zuletzt als ideologisches Gegenstück zum Ritterepos mit seinen hehren Zielen und Charakteren. So ist der Picaro ein Held der niederen Klassen, der sich mit Flexibilität durchs Leben schlägt und aus allem Vorteil zu ziehen trachtet, sei es pekuniär oder amourös. Mit satirischem Blick durchwandert er die zeitgenössische Welt. Er gewinnt Freunde und verliert sie wieder, lässt sich treiben, muss die Flucht ergreifen und drängelt sich erneut in Kontexte, in denen er nichts zu suchen hat. Seine Nähe zum Narren, der naiv und schlau zugleich ist, oder zum listigen Trickster ist evident. Der Picaro erfährt keine innere Wandlung. Schon die episodische Form verhindert seine Psychologisierung: Sie ist offen für Additionen und Kürzungen und enthält in ihrer barocken Fülle oft weit mehr Ereignisse, als einem Einzelnen widerfahren könnten.

Mit Zwölf Stühle hat Ottinger einen Roman verfilmt, der seinerseits pikareske Züge trägt. Er schickt seine Figuren durch die Nachwehen der russischen Revolution, und mit Staunen erlebt man, wie erfinderisch sie sich gebärden. An krassen Gegensätzen, Chaos, Ungleichzeitigkeit herrscht in diesem Land kein Mangel. Die Figur des Picaro ist aufgefächert in einen enteigneten Großbürger und einen schlitzohrigen Gauner – ein ungleiches, aber in Gier vereintes Paar, das von einer dritten Figur, einem glücklosen Popen, flankiert wird. Um alle drei gruppieren sich bizarre Nebenfiguren, die in unterschiedlichster (aktueller) Art auf die neue Gesellschaftsform reagieren. Ottinger vermag diesen Stoff mit Witz und Fabulierlust, aber auch scharfer Beobachtung und unerschöpflicher Phantasie zu inszenieren. Hier kann sie ihre apsychologische, scharf beobachtende Erzähltechnik einbringen, kann veritable Nummern ausgestalten, Poetisches mit Action mischen, Stilisiertes mit dem Absurden. Heterogene Elemente aus Shakespeare, der Commedia dell‘arte, dem Stationendrama, der Tragikomödie, Gogol, Eisenstein, dem Italowestern, dem Dokumentarfilm, der Avantgarde oder auch der romantischen Landschaftsmalerei sind verwoben. 

Entsprechend greift sie in die Vollen, und ihr ukrainisches Ensemble hält mit: Ottinger gibt den Schauspielern viel Raum für Spontanes, beherrscht jedoch die Erzählung auf souveräne Weise. Jede Nummer ein überraschendes, präzis genutztes Tableau, jede Einstellung ein opulentes Gemälde. Im Spannungsfeld von statischer Komposition, die den Blick zum Verweilen einlädt, und quirliger Performanz, die den Rahmen sprengen könnte, vollzieht sich der narrative Rhythmus. Dem entspricht im Ganzen die doppelte Bewegung vom Erfüllen einer numerischen Vorgabe – der Suche nach den zwölf Stühlen, Stück für Stück und darüber hinaus – und dem Sich-Entfalten in der Eigengesetzlichkeit der Episoden. Eine solche Struktur braucht einen langen Atem. Ulrike Ottingers Film dürfte nicht kürzer sein, denn der Geist der Pikareske entfaltet sich in der Fülle: auch der Zeit.

 

Director’s Statement

Kennen Sie den Roman „Die Zwölf Stühle“?

Nicht?

Dann sollten Sie die Geschichte unbedingt kennenlernen. Das listige Autorenpaar Ilja Ilf und Jewgeni Petrow - die „männlichen Brontë Sisters“ von Odessa - , sie ließen sich mit einem Bleistift abbilden, den sie gemeinsam halten, begibt sich auf der Suche nach den zwölf Stühlen auf eine Reise kreuz und quer durch das riesige Sowjetreich. Von West nach Ost, von Nord nach Süd. Die zwölf Stühle, die einst zu einer ansehnlichen Salon-Garnitur gehörten, sind inzwischen - im Lande verstreut - bei den unterschiedlichsten Besitzern gelandet. Keiner ahnt, dass in einem der gepolsterten Stühle ein riesiges Vermögen steckt. 

Ich wußte um diesen verborgenen Schatz. Und so begab ich mich auf eine Reise zu den Menschen und Ländern der südöstlichen Hemisphäre. Sie wurde auch zu einer Begegnung mit den Göttern meines Kunst-Pantheons.

Als Kind besaß ich ein Stilquartett der Moderne und so hatte ich früh gelernt, dass die Architekten sich ihre Tempel, die Waren- und Bürohäuser, selbst erbaut und die Schriftsteller in ihren Tempeln, den modernen Kaffeehäusern der Metropolen, ihren Ruhm sich selbst erschrieben hatten. Die Stühle, auf denen sie einst schreibend oder in angeregter Gesellschaft saßen, wurden im Verlauf der Zeit zu Exekutionswerkzeugen oder zu Schleudersitzen, die sie in die Emigration trieben. 

Heute sitzen auf diesen Stühlen die Trafikantinnen, die Zigaretten einzeln verkaufen, oder selbst gefangenen, selbst geräucherten Fisch, selbst geröstete Sonnenblumenkerne, selbst gezogene Gemüse, selbst erhandelte Billigwaren anbieten, die sie von weit entfernten Containermärkten und Busbahnhöfen in gestreiften Plastiktüten selbst herbei geschleppt haben.

Ulrike Ottinger

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